Die Bank als lernende Organisation: Zukunft mit Future Skills
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Die Bank als lernende Organisation

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Rasante Veränderungen in der Geschäftswelt bergen Chancen und Risiken für Organisationen. Die Lernfähigkeit einer Organisation entscheidet über ihre Zukunftsfähigkeit. Institute, die sechs Gestaltungsdimensionen bearbeiten, können zur lernenden Bank werden.

„Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung“, schrieb der griechische Philosoph Heraklit um 500 vor Christus. Dieser Satz ist auch heute noch mehr wahr. Denn das Innovationstempo im Bereich Technologie treibt rasante Veränderungen in die Geschäftswelt.

Teilweise sind disruptive Umbrüche zu beobachten, die jedes Unternehmen treffen können. Ein berühmtes Beispiel: Der Handyhersteller Nokia verpasste die rechtzeitige Weiterentwicklung seiner Produkte zu Smartphones, während Apple und Android die Welt eroberten.

Derartige Innovationen von Konkurrenten können für Unternehmen gefährlich sein – und können selbst Riesen wie Nokia stürzen. Gleichzeitig bergen Innovationen und Umbrüche häufig auch eine Chance: Unternehmen könnten selbst als Wegbereiter von Neuem auftreten oder die Impulse anderer aufgreifen, um Innovationen zu entwickeln.

Zukunftsfähigkeit durch Anerkennen und Lernen

Doch was können Unternehmen tun, um ihre Risiken zu senken und ihre Chancen zu nutzen? Im ersten Schritt: beides erkennen. Wer in Selbstzufriedenheit verharrt und kein Umfeld für Innovation schafft, wird im Wettbewerb schnell ins Hintertreffen geraten.

Im zweiten Schritt: Gezielt an ihrer Zukunftsfähigkeit arbeiten. Auch wenn ein Institut aus vielen Elementen besteht, die Zukunftsfähigkeit der Organisation Bank wird in erster Linie durch das Arbeiten, Können und Handeln der dort tätigen Menschen bestimmt. Schließlich müssen Innovationen von Menschen entwickelt werden.

Der Schlüssel sind die Menschen – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Führungskräfte und Vorstand –, denn sie alle entwickeln, implementieren oder treiben die Entwicklung eines Instituts voran.

Aus dieser Perspektive betrachtet scheint die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der Bank leicht beantwortet: Um moderne Technologien erfolgreich für sich zu nutzen, braucht sie Menschen, die über das Wissen und das Mindset verfügen, um diese zu implementieren, zu bedienen und weiterzuentwickeln.

Nur gibt es ein großes Problem: Es ist fast unmöglich, genug dieser Menschen auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt zu finden. In Deutschland sind über 50 Prozent der Unternehmen vom Fachkräftemangel betroffen. Mehr als zwei Millionen Stellen sind unbesetzt und bis zum Jahr 2036 gehen 30 Prozent aller Erwerbstätigen in Rente.

Bei den Fachkräften, die bereits im Haus sind, fehlen oft noch die entscheidenden Future Skills. Welche Fähigkeiten Organisationen brauchen, haben verschiedene Analysen – etwa durch das World Economic Forum oder die Unternehmensberatung McKinsey – bereits aufgezeigt.

Blickt man parallel auf die Ergebnisse des Bildungsreports der genossenschaftlichen FinanzGruppe, so wird deutlich, dass Lernen zum großen Teil immer noch auf die fachlichen Kompetenzen ausgerichtet ist.

Auch bei den genossenschaftlichen Banken existiert eine gewaltige Lücke zwischen den vorhandenen Kompetenzen und jenen, die für die Zukunftsgestaltung notwendig sind. Die junge Generation wird diese Lücke nicht schließen können. Es kommen zu wenige Arbeitskräfte nach und dazu kommt, dass für die meisten Future Skills weder Ausbildungs- noch Studiengänge angeboten werden.

Future Skills

  • Neue technologische Spezialkompetenzen: KI, Data Analytics, Robotik
  • Digitale Schlüsselkompetenzen: Agilität, digitales Lernen, neue Formen der (digitalen) Zusammenarbeit
  • Klassische Kompetenzen: Problemlösung, Kreativität, unternehmerisches Denken
  • Transformative Kompetenzen: Veränderungsfähigkeit, Urteilsfähigkeit, Innovationskompetenz
  • Selbstmanagement: aktives Lernen, Lernstrategien, Stressbewältigung
  • Führungsqualitäten: moderne Führung, sozialer Einfluss

Die lernende Bank lässt sich nicht nur auf die einfache Formel „Lernen des Einzelnen = Lernen der Organisation Bank“ reduzieren. Nur weil der Einzelne lernt, lässt sich dies nicht automatisch auch auf die Organisation Bank übertragen. Denn das Lernen des Einzelnen bewirkt zu wenig.

In Organisationen wird Lernen oft mit dem Absolvieren von Seminaren, Webinaren und E-Learnings gleichgesetzt. Diese Lernformate sind aber nicht ausreichend. Denn es handelt sich dabei um klassisches formales Lernen auf Vorrat. Menschen werden für einige Stunden oder Tage neuen Inhalten ausgesetzt, oftmals in einem Seminarraum, losgelöst vom Arbeitsalltag. Zurück im Job, kommt dann nur sehr wenig des Gelernten zur Anwendung. Deshalb entwickeln Unternehmen und einige Lernanbieter inzwischen „Neues Lernen“ für Organisationen.

Lernen neu denken

Das Angebot von Weiterbildungsmaßnahmen ist breit. Aber wer kennt das nicht? Das mehrtägige Seminar war gelungen und inspirierend und die Teilnehmer haben gefühlt viel gelernt. Doch zurück am Arbeitsplatz mit dem Ziel, das Gelernte in der Praxis einzusetzen, folgt häufig die Erkenntnis, dass das meiste doch nicht zum Einsatz kommt. Mal hat das Gelernte doch nicht ganz zur Praxis gepasst, mal waren andere dagegen, die neue gelernte Herangehensweise auszuprobieren. Und besonders häufig wird viel des Gelernten einfach wieder vergessen.

Dieses Vergessen ist der mächtigste Gegner des Praxistransfers. Studien zeigen, dass schon eine Woche nach einem Seminar 80 bis 90 Prozent des Gelernten durch das Tagesgeschäft wieder verloren gehen, wenn es nicht unmittelbar zur Anwendung kommt.

Damit also der Lernwirkungsgrad über 10 bis 20 Prozent steigt, müsste viel des Gelernten schon in der ersten Woche angewendet werden. So klein ist das Zeitfenster. In der Realität fällt der Zeitpunkt eines Seminars jedoch selten mit dem Moment zusammen, in dem das Wissen tatsächlich gebraucht wird.

Folgende Erkenntnis überrascht daher wenig: In groß angelegten Studien wurden Menschen gefragt, welche Lernmethoden ihnen am meisten helfen, wenn es darum geht, etwas zu lernen und dann tatsächlich in die Anwendung zu bringen. Dabei nennen nur 10 Prozent der Befragten klassische Lernformate wie etwa Seminare. 90 Prozent nennen informelle Lernmethoden, die sich nochmal auf soziales (20 Prozent) und anwendungsbezogenes (70 Prozent) Lernen aufteilen.

Das Lernen in Organisationen muss neu gedacht werden

Lernen in Organisationen muss deshalb im Sinne informeller, sozialer und erfahrungsnaher Lernmethoden neu gedacht werden. Diese Art von neuem Lernen bedeutet, Lernen und Arbeiten nicht mehr getrennt zu betrachten, sondern viel mehr zu verschmelzen. Dazu – und um die Bank als lernende Organisation zu etablieren – werden neue Formate benötigt.

Hinzu kommt, dass informelles Lernen nur stattfinden kann, wenn es als fester und respektierter Bestandteil des Arbeitsalltags betrachtet wird. Die modernsten Lernangebote bewirken nichts, wenn Führungskräfte oder Kollegen kritische Kommentare fallen lassen, sobald Arbeitszeit als Lernzeit genutzt wird. Das ist besonders bei informellen Lernmethoden sehr verbreitet: ein fachlicher Austausch bei einem Spaziergang, ein YouTube-Video mit einem Work-Hack oder bequem mit einem Kaffee im Sessel ein Fachbuch lesen – das sieht nicht unbedingt nach Arbeit aus. Es ist aber Lernen und das sollte daher in einer lernenden Bank zur Arbeit fest dazugehören.

Über diese Art der Akzeptanz hinaus gehören zum Lernen einer Organisation auch Aspekte der Zusammenarbeit, wie häufiges und faires Feedback, die Möglichkeit zu experimentieren sowie das Gefühl, Neues ausprobieren zu dürfen, um dann aus unperfekten Ergebnissen oder gar aus dem Scheitern zu lernen.

Sechs Gestaltungsfelder für die lernende Bank

Mit Blick auf organisationales Lernen hat der US-amerikanische Multiunternehmer, Autor und Influencer Gary Vaynerchuk treffend formuliert: „Content ist King, but Context is God“. Wenn der Kontext – etwa Führungsverhalten, Strukturen und Kultur – nicht lernförderlich ist, verpufft die Wirkung des besten Lerninhalts.

Die Organisation Bank ist ohne Zweifel ein komplexes Geflecht mit einer Fülle an Kontext

Doch was genau gehört dazu? Die folgenden sechs wesentlichen Gestaltungsfelder tauchen in Forschung und Praxis über lernende Organisationen immer wieder auf:

  • Mindset und Lernkultur
    Haltung und Verhalten des Einzelnen bezüglich des informellen Lernens im Arbeitsalltag, einschließlich Fehler- und Feedbackkultur.

  • Führungskräfte
    Vorleben der Verschmelzung von Lernen und Arbeiten, formale Erlaubnis zum Lernen bei der Arbeit.

  • Lernthemen – Future Skills
    Angebot nicht nur von fachlichen Lernangeboten, sondern auch Future Skills – von KI über Problemlösefähigkeit bis hin zu eigenständigen Lernstrategien.

  • Lerntechnologie
    Moderne Lerntechnologien wie Lernmanagementsysteme oder kompakte digitale Lernformate (etwa kurze Lernvideos), die sich leicht in den Alltag integrieren lassen.

  • Personalabteilung
    Eine Personalabteilung, die Neues Lernen kennt, versteht und gestaltet.

  • Vorstand und Strukturen
    Vorstände, die Lernen vorleben, entsprechende Budgets bereitstellen und Innovationen fördern.

In einem Workshop des HR-Expertenkreises beim BVR wurden in Zusammenarbeit mit der Lernwelt des Personaldienstleisters Peras die sechs Gestaltungsfelder zunächst empirisch bewertet, mögliche „Schmerzpunkte“ in den Banken identifiziert und daraufhin Handlungsoptionen entwickelt.

Die dabei erhobenen „Schmerzpunkte“ erstreckten sich über alle sechs Gestaltungsfelder und sind in Abbildung 2 zusammengefasst. Um den identifizierten Schmerzpunkten zu begegnen, richtete sich die Ableitung von Handlungsoptionen auf vier zentrale Aspekte:

  • Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Fehler-, Lern- und Feedbackkultur auf allen Hierarchieebenen,
  • Bereitstellung von priorisierten Zeitbudgets für selbstgesteuertes Lernen der Mitarbeitenden und Führungskräfte,
  • Die dringende Notwendigkeit zur Entwicklung einer KI-Agenda in den Banken,
  • Die vertiefte Abstimmung der Lernbedarfe, Formate und Technologien mit den Lernanbietern in der genossenschaftlichen FinanzGruppe.

Erste Schritte

Diese Erkenntnisse lassen sich nicht verallgemeinern. Jede Bank muss selbst herausfinden, welche individuellen Schwierigkeiten es zu überbrücken gilt und welche Handlungsoptionen existieren. Leider setzt an dieser Stelle ein häufiger, sehr menschlicher Reflex ein: die Ablehnung eigener Schwächen und Fehler.

So finden sich schnell Gründe, warum die Erkenntnisse für das eigene Wirkungsfeld nicht zutreffend sein können. Gleichzeitig bedarf es eines aktiven und gestaltenden Umgangs mit dem Thema Lernen und Lernkultur, um zusammen mit allen Mitarbeitern und Führungskräften in der Bank über einen neuen Ansatz einen Schritt in Richtung einer lernenden Organisation zu machen.

„Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung.“ Doch nur wer bei sich selbst die Notwendigkeit zur Veränderung erkennt, kann mit Veränderungen Schritt halten und die Zukunft gestalten.

Dieser Artikel erschien in der BankInformation, dem Fachmagazin der Volksbanken Raiffeisenbanken, in der Ausgabe 12/2024 mit dem Schwerpunkt "Neues Lernen". Der ganze Artikel zur Bank als lernenden Organisation steht zum Download bereit.

Portraitfoto von Johannes Schiebener
Johannes Schiebener
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