Holokratie in der Praxis: Interview über die Arbeitgeberattraktivität
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Holokratie statt Hierarchie: Peras Experten im Interview

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Attraktivität des Arbeitgebers erhöhen durch mehr Verantwortungsübernahme und Gestaltungsmöglichkeiten: Innerhalb einer hierarchischen Unternehmensstruktur hat der Consulting-Bereich der Peras GmbH vor einiger Zeit ein neues Rollenmodell nach einem holokratischen Ansatz eingeführt.

Dessen Ziel: Managementfunktionen hierarchiefrei im Team zu verteilen und dadurch innovativer werden. Über dessen Einsatz und Erfahrungen bei der Einführung berichten Carsten Sura, Senior Manager und Experte für Führung, New Work und Agilität sowie Marco Feindt, Senior Manager und Experte für HR Transformation bei Peras.

Zunächst eine vielleicht etwas ketzerische Frage: Was ist eigentlich so schlecht an Hierarchien?

Carsten Sura: Vor allem mindern hierarchische Strukturen die Attraktivität als Arbeitgeber, was in Zeiten des Fachkräftemangels niemand ernsthaft wollen kann. Menschen werden in Stellenbeschreibungen gepresst, Abstimmungswege sind lang und eskalieren über viele Stufen. Prozesse werden nicht hinterfragt, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten nicht in dem Maße übernommen, wie es nötig wäre, um besser auf schnelle Veränderungen adäquat reagieren zu können.

Demgegenüber steht der holokratische Ansatz für Unternehmensführung und -organisation, den das Consulting-Team der Peras seit einiger Zeit praktiziert.

CS: Genau. Statt fester Stellen mit klaren Linien von Autorität und Befehl steht hier die laterale Zusammenarbeit im Vordergrund, geprägt durch Peer-Feedback, intensiven Austausch untereinander, Selbstorganisation und gelebte Transparenz. Dafür verlagern sich Verantwortlichkeiten weg von Stellen, hin zu einem Netzwerk von Teams und Rollen. Jede Rolle hat ihre spezifischen Aufgaben und Zuständigkeiten, die Entscheidungsfindung erfolgt dezentral auf der Grundlage festgelegter Prozesse, oft in regelmäßigen Treffen.

Rollen haben spezifische Aufgaben, Stellen auch. Was ist also der entscheidende Unterschied?

Marco Feindt: Natürlich ist nicht jeder gleich prädestiniert für jede Rolle, hier sind der persönliche Hintergrund, die Vorlieben, Ausbildung etc. determinierende Faktoren. Ziel ist es aber, in seiner jeweiligen Rolle zu wachsen und sich damit auch weiterzuentwickeln. Und darüber hinaus sich auch neue Rollen zu erschließen, um neue Akzente setzen zu können. Insofern ist das Rollenkonzept weitaus flexibler als die klassische, starre Stellenbeschreibung, die sich der Form nach viel langsamer wandelt. In einem rein starren Konzept möchte heute niemand mehr arbeiten.

„Rollen sind dynamischer, elastischer als Stellen“

Wie seid Ihr nun bei der Einführung des Rollenkonzepts im Consulting genau vorgegangen?

MF: „Wir haben existierende Managementfunktionen auf verschiedene Rollen verteilt und sie damit aus dem Korsett der bisherigen Stellen befreit. Zu unseren bisherigen Consulting-Tätigkeiten übernehmen wir daher nun zusätzlich Managementaufgaben, und dies aus einer Rolle heraus. Die zunehmende Komplexität der (unternehmerischen) Umwelt verlangt es nachgerade, Führungsaufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen. Außerdem sollte keine zusätzliche alleinige Führungsposition etabliert, sondern ein Arbeiten auf Augenhöhe unterhalb der Geschäftsführung ermöglicht werden. Es motiviert damit die Gruppe, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Welche Rollen gibt es?

CS: Das besondere bei uns ist, dass wir – als rein rollenbasiertes, agiles Team - weiterhin innerhalb einer hierarchisch geprägten Organisation tätig sind. Da unterscheiden wir zwischen Rollen innerhalb des Teams, die die Zuständigkeiten für Umsatz- und Vertriebsverantwortung, Themenverantwortung, Marktbeobachtung u.a. widerspiegeln, und sogenannten Link-Rollen. Letztere dienen der Kommunikation mit der „Außenwelt“, sprich den verschiedenen Entscheidungsgremien der Peras, unserer Geschäftsführung sowie der 1. Führungsebene. Für sie sind die Link-Rollen direkte Anlaufpunkte für management- und strategierelevante, das Consulting betreffende Themen. Link-Rollen bilden die klassischen Unternehmensbereiche Marketing, Vertrieb, Controlling, HR usw. ab und sorgen dafür, dass das jeweilige Thema im Consulting gemanagt und vorangetrieben wird. Die konkreten To-dos übergeben sie dann an die entsprechende Abteilung im Unternehmen. Im Consulting haben wir die Link-Rollen unter uns aufgeteilt. Wie geben uns dazu regelmäßig Feedback und ordnen sie ggf. neu.

Wie fallen bei diesem Prinzip der geteilten Verantwortung Entscheidungen?

CS: Für alle Entscheidungen, die innerhalb des Teams getroffen werden und sich auf das abteilungsbezogene Tagesgeschäft beziehen, kommt entweder das sogenannte Beratungsprinzip zum Tragen, das in einem „konsultativen“ Einzelentscheid mündet, oder aber der Konsent-Ansatz. Bei Ersterem bespricht sich der Entscheidungs-Owner (ergo: Rollen-Inhaber) mit einer beratenden Person im Team, die über die notwendige Kompetenz für eine qualifizierte Beratung verfügt, trifft anschließend die Entscheidung und vertritt sie nach außen. Für weitreichendere Entscheidungen, die den gesamten Consulting-Bereich betreffen, wenden wir den Konsent-Ansatz an. Alle Mitarbeitenden im Consulting sind dabei gleichberechtigt, haben volles Stimmrecht und können schwerwiegende Einwände anbringen, die dann diskutiert werden.

Weniger Fehlentscheidungen durch gemeinschaftlichen, konsultativen Ansatz

MF: Unsere Erfahrung ist es, dass wir mit diesen Ansätzen zu zeitnahen und verantwortungsvollen Entscheidungen im Team kommen. Natürlich können diese trotzdem einmal falsch sein. Eine solche Fehlerkultur muss man in seinem Mindset verankern. Aber reduziert haben wir Fehlurteile aufgrund der gemeinschaftlichen Entscheidungskultur, verglichen mit rein hierarchischem Denken, wo Entscheidungen oft alleine getroffen wurden, ohne verpflichtende Absprache.

Im Consulting-Team wird das Rollenmodell gelebt, aber innerhalb des Gesamtunternehmens – und erst recht in der Außenwelt – stößt es noch immer auf zumeist klar hierarchische Strukturen. Was geschieht an dieser Schnittstelle?

MF: Genau dafür sehen wir die Rolle als Entscheidungs-Owner, der die Entscheidung nach außen hin vertritt – auch wenn sie innerhalb unseres Teams innerhalb eines agilen, holokratischen Prozesses entstand.

In einer kollaborativen Arbeitswelt gehen Technik und Mindset Hand in Hand

Was war eigentlich der Anlass, ein solches neues Organisationsmodell einzuführen?

CS: Ich hatte bei früheren Arbeitgebern bereits Erfahrungen damit gesammelt. Und ein solches Rollenkonzept ist ein Innovationstreiber per excellence. Das, was wir dort mittlerweile leben, propagieren wir natürlich auch gegenüber unseren Kunden. Es ist sozusagen Teil unseres Leistungsspektrums, das, was wir dem Kunden empfehlen, auch selbst zu leben. Es geht um neue Konzepte der Zusammenarbeit. In einer kollaborativen Arbeitswelt müssen Struktur, Technologie und Mindset Hand in Hand gehen.

Gab es Befindlichkeiten im Team, als Ihr die Idee der neuen Struktur vorstelltet? Ängste vor Veränderungen oder Mehrbelastung?

MF: So etwas funktioniert eben nicht, wenn man es par ordre du mufti überstülpt. Deshalb haben wir im Vorhinein abgefragt, ob sich alle die Arbeit nach einem solchen Modell überhaupt vorstellen könnten. Die Aufgeschlossenheit war da. So überlegten wir im zweiten Schritt, welcher Rollen es bedarf, um an die Peras-interne Hierarchie anzudocken, und anschließend, welche Rollen auf welche einzelne Person passen könnten. Was alle dabei gelernt haben: Es ist zunächst ein zeitlicher Mehraufwand, den man versuchen muss, in den bisherigen Arbeitsalltag zu integrieren. Nicht nur die zusätzlichen Management-Aufgaben, sondern auch dass man gefordert ist, seinen Kollegen und Kolleginnenpermanent Feedback zu geben, war für uns alle neu.

CS: Man braucht auf jeden Fall Geduld und Experimentierfreudigkeit. Im Consulting-Team konnten wir dies unter idealen Laborbedingungen ausprobieren – eine Ausweitung auf andere Abteilungen ist nicht undenkbar. Dabei muss man auch untersuchen, ob es überhaupt zu der Organisation bzw. zu einzelnen Fachbereichen passt.

New Work, Holokratie, rollenbasiertes Zusammenarbeiten – das ist alles kein Selbstzweck. Was hat Euch, und damit der Peras insgesamt, die neue Arbeitsweise konkret gebracht?

CS: Definitiv sind wir im Consulting-Team mit den neuen Aufgaben gewachsen und übernehmen heute frühzeitig Verantwortung. Die Bindung an das Unternehmen hat sich dadurch noch verstärkt und das macht unser Consulting zugleich attraktiv für neue Kolleg*innen. Nicht zuletzt sparen wir der Peras durch die Verteilung von Managementaufgaben auf mehrere Schultern eine im Vergleich zusätzliche Teamleitungsfunktion.

Carsten, Marco, vielen Dank für das Gespräch.

Peras ist ein HR Lösungsanbieter für Banken und Mittelstand mit 280 Mitarbeitenden an sechs Standorten in Deutschland. Die Arbeitsweltgestalter von Peras verbinden in ihrer Beratung die drei Handlungsstränge Struktur, Mensch und Technologie. Damit gestalten sie eine Arbeitswelt der Zukunft und erzeugen Wirksamkeit. 

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Carsten Sura
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Marco Feindt
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